Rede des IVL – Vorsitzenden Dirk Meußer für die im DBB organisierten Lehrerverbände

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
laut Statistik leben in Schleswig-Holstein bereits seit Jahren die glücklichsten Menschen des Landes. Dies trifft nur bedingt auf Lehrkräfte zu. Über die Gründe möchte ich heute sprechen.

Der unserem Berufsstand nachgesagte Hang zur professionellen Grießgrämigkeit
bzw. Unzufriedenheit ist hier übrigens nicht ursächlich, sondern als gesamtgesellschaftlich praktiziertes Vorurteil Teil des Problems, auch im DBB.
Ich spreche hier als Landesvorsitzender der Interessenvertretung der Lehrkräfte in
Schleswig-Holstein vor allem für die im DBB organisierten Lehrerverbände der
allgemeinbildenden Schulen, neben der IVL sind dies der Philologenverband und der Verband für Bildung und Erziehung VBE, daneben gibt es natürlich auch noch die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Berufsschule, organisiert im VLBS. Und seit ich als stellvertretender Bundesvorsitzender meines Verbandes gleichsam Mitglied des dbb Bundesvorstandes sein darf, höre ich auch auf den Fluren in Berlin ein oft unausgesprochenes Vorurteil: dass es nämlich nur mit dem schwierigen Charakter des Lehrers zu erklären sei, dass die organisierte Lehrerschaft im dbb so zersplittert sei, dass wir uns drei bzw. vier Lehrerverbände leisten in der Auseinandersetzung mit der großen Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft GEW: groß beziehe ich hier ausdrücklich nur auf die Mitgliederzahl, nicht auf die Inhalte.

Erlauben sie mir diese Vorurteile zunächst auszuräumen, bevor ich die besonderen
Herausforderungen der gewerkschaftlichen Arbeit der Bildungsverbände in diesen Zeiten genauer skizziere. Bis zum vermeintlichen PISA-Schock entsprach die Trinität der Lehrerverbände für die allgemeinbildenden Schulen dem Status-Quo der dreigliedrigen Schulstruktur.

Während sich die Philologen für Anspruch und Bestand eines vollwertigen Abiturs an einem richtigen Gymnasium engagierten, verlor der Verband deutscher Realschullehrer eben jenen Kampf für Qualität und pure Existenz der Realschulen und wurde zur IVL.
Der VBE trägt schlauerweise keine Schulart im Namen, vertrat aber dennoch im eigenen Selbstverständnis mit besonderer Kompetenz die Hauptschul- und Förderschullehrkräfte.
Mit der totalen Entkernung des dreigliedrigen Schulsystems, verbunden mit der Abschaffung von Haupt- und Realschulen etablierte man die Gemeinschaftsschule als Lösung aller Probleme, lediglich die Kollegen des VLBS blieben Spezialisten für ihre Schulart, die Berufsschule.
Nun gab es die Gemeinschaftsschule, die Schule des längeren gemeinsamen Lernens, ohne Notenzwang und Sitzenbleiben, bei der vom Förderschüler bis zum gymnasial begabten Kind alle gemeinsam in einem Klassenraum unterrichtet werden, um individuell gefördert Abschlüsse vom ESA bis zum Abitur zu erlangen.

Gemeinschaftsschule- Where the sun allways shines! So viel zur Theorie. In der Praxis bedeutete dies zunächst, dass drei vorwiegend schulartbezogene Verbände mit unterschiedlichen bildungspolitischen Inhalten nun nach Entstehung der Gemeinschaftsschule mit und ohne Oberstufe um sich überschneidende oder gar denselben Kundenkreis warben. Die neue Schulart „Gemeinschaftsschule“, das Lieblingsprojekt der GEW, blieb bei IVL und Philologen von Beginn an unbeliebt. Ich habe bei meiner Antrittsrede als IVL-Vorsitzender die Prinzipien der
GEW konformen Gemeinschaftsschule des angstfreien Lernens in seiner Reinform, ohne Noten, ohne Sitzenbleiben, in Analogie zur Sportwelt wie folgt veranschaulicht:
Stellen Sie sich vor, man würde die Mannschaften der Bundesligen 1 und 2 gemeinsam mit den Amateuren der Regionalliga in einer gemeinsamen Liga spielen lassen. Der Aufstieg und der Abstieg werden abgeschafft und die Bezahlung der Spieler erfolgt unabhängig von der erbrachten Leistung. Ob die Tore in einem Spiel noch gezählt werden, liegt im Ermessen der Vereine, während die Mannschaften am Ende eines Spieltages statt in einer nach Leistung sortierten Rangfolge der Tabelle nun kreisförmig alphabetisch sortiert werden.
Das Interesse für Fußball ist in Deutschland ungleich größer als für die Bildung, weshalb eine solche Fußballreform uns sicher dauerhaft erspart bleiben wird, während sich die nach diesen Prinzipen organisierte Schulart mit geringen Modifizierungen etabliert hat, trotz eines Leistungsabsturzes in nationalen Vergleichsstudien.
Die Schlussfolgerung teilten und teilen Philologen und IVL bis heute als Teil des Deutschen Lehrerverbandes (DL): Wir brauchen nicht die eine Schule für alle, sondern für jeden die richtige Schule, zumindest den richtigen Bildungsgang. Der VBE hält am Konzept des längeren gemeinsamen Lernens fest, fordert aber den Einsatz multiprofessioneller Teams zur Bewältigung der Heterogenität im Klassenraum sowie den Erhalt der Förderschule als Angebotsschule. So ließ und lässt sich die bildungspolitische Agenda bei IVL und Philologen unter dem Leitbegriff der Bildungsqualität, beim VBE unter dem Leitspruch „Mehr
Gerechtigkeit wagen“ der Bildungsgerechtigkeit, als Zentrum des Wirkens und der
Kundenbindung subsumieren. Wir kämpfen teilweise vereint, teilweise mit gegensätzlichen Zielen im Wettbewerb für bessere Bildung und bildeten einen großen Teil des Meinungsspektrums der Lehrerschaft ab – bis Corona kam.
Wir hatten in der IVL 2019 vielversprechende Gespräche auf Vorstandsebene mit den Philologen begonnen, um der sinkenden Bildungsqualität in den Gemeinschaftsschulen mit gemeinsamen Forderungen in einer Kampagne zu begegnen. Corona konnte dieses Vorhaben bestenfalls um wenige Monate verzögern – dachten wir. Tatsächlich sprechen wir seit nunmehr zwei Jahren nicht mehr darüber, wie Bildung optimiert wird, sondern dass sie überhaupt passiert. Die zweite Dimension gewerkschaftlichen Handelns in den Bildungsverbänden ist die berufsständische Vertretung, hier geht es um die wahrhaft existenziellen Interessen, abgesichert durch den dbb, sie gewann nun an Bedeutung – in allen Verbänden und allen Schularten.
Im Vertrauen auf ein baldiges Wiedersehen schickten die Kolleginnen eine Woche vor den Osterferien die ihnen anvertrauten Kinder mit verstärkten Hausaufgaben in den ersten Lockdown 2020. Es sollte nicht der letzte Irrtum in dieser Pandemie gewesen sein. Übte man anfangs noch Nachsicht in der Bevölkerung, wuchs mit der Erkenntnis, dass die Beschulung des eigenen Nachwuchses nicht nur das reine Vergnügen ist, auch der Unmut. Während die Massenmedien bizarre Einzelbeispiele von Däumchen drehenden Kollegen skandalisierten,
engagierten wir Lehrerverbände uns als Korrektiv einer öffentlich verzerrten Wahrnehmung. Es war eben nicht dem mangelnden Engagement und der Fantasielosigkeit der Kollegen geschuldet, wenn sie lediglich Arbeitsblätter verschickten, sondern dem Versagen des Dienstherrn. Wir hatten es oft genug angeprangert: Es gab im Jahr 2020 weder eine DienstE-Mail-Adresse für Lehrkräfte, keine datenschutzkonforme Videokonferenzlösung des
Landes, keine Lernplattform, keine Dienstgeräte für Lehrkräfte noch Endgeräte für
Schülerinnen. Wer Eigeninitiative zeigte und kommerzielle Lösungen amerikanischer Konzerne nutzte, war rechtlich angreifbar und wurde vom Ministerium zurückgepfiffen, wer es nicht tat, stand nicht selten am öffentlichen Pranger einer vermeintlichen Arbeitsverweigerung.
Auch wir machten Druck und nun war in wenigen Monaten möglich, was wir als Verbände jahrelang forderten, die Schule wurde digital.
Arbeitsschutz wurde zum Gebot der Stunde, da der Dienstherr nicht immer seiner
Fürsorgepflicht in gebotenem Ausmaß nachkam. Mehrarbeit wurde alltägliche Praxis. Kollegen unterrichteten teilweise parallel Lerngruppen zum Teil in Präsenz, zum Teil in Videokonferenzen, um am Nachmittag etwa 140 digital bearbeitete Homeschooling Ergebnisse zu korrigieren und angemessene Rückmeldung zu geben.

Später stieg der Verwaltungsaufwand durch Tests und zusätzliche Verwaltungsaufgaben, die oft am Freitag verkündet wurden und am Montag umzusetzen waren. Schwerstvorerkrankte Kollegen, die ohne Impfangebot bei Hochinzidenzen vor der Wahl standen als unsolidarisch zu gelten oder ihren Anspruch auf eine nicht lebensgefährliche Begegnung mit 400 Haushalten zu erstreiten, auch mit Unterstützung des dbb Rechtsschutzes, veränderte Arbeitsschwerpunkte. Wir wurden zu Kümmerern.
Für die Impfpriorisierung aller Lehrkräfte kämpften die Lehrerverbände massiv. Einen gemeinsamen offenen Brief von Jens Finger und mir an unseren Ministerpräsidenten, der freundlich die Fürsorge des Landes einforderte, wies Daniel Günther ebenso freundlich zurück. Das habe ich mir übrigens gemerkt.
Es wurde seit Corona noch nie so viel über Bildung gesprochen, ohne über Bildung zu sprechen. Wir waren gefragt als Statistiker, Virologen und Sachverständige für
Lüftungsanlagen.

Bei aller Kritik im Einzelnen, die wir äußerten und äußern, bleibt festzuhalten, dass bei der Bewältigung der Pandemie in Schleswig-Holstein auch vieles richtig gemacht wurde. Wir können stolz ein auf die höchste Impfquote bei den 12- 17jährigen und wir sind uns als Verbände im dbb einig, dass wir die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichtes als wichtigstes Ziel für die Zukunft sehen und die Aufrechterhaltung der Hygienemaßnahmen als Voraussetzung dafür auch weiter akzeptieren.

Ob Philologen, VBE, VLBS oder IVL: Einig sind wir uns gerade vor dem Hintergrund der arbeitsreichen Bewältigung der Pandemie in den Lehrerzimmern in Zeiten von Corona im Kampf um die Wertschätzung unserer Arbeit, auch finanziell.

Stichwort: Weihnachtsgeld
Ich möchte daran erinnern: Das Weihnachtsgeld ist kein großzügig gewährter Bonus nach Leistung oder Haushaltslage, es ist Teil unseres Gehaltes, und zwar in voller Höhe.
Ich empfinde es noch heute als schändlich, dass die Landesregierung die Nichteinhaltung der stets versprochenen Rückkehr zu einer verfassungsgemäßen Fortzahlung wie folgt begründete: da man die Besoldung der Grundschullehrkräfte nun von A12 auf A13 erhöht habe, sei angesichts der Haushaltslage eine Zahlung des Weihnachtsgeldes nicht mehr möglich. Wer für sein Recht und sein Glück kämpft, war in dieser Logik vom Neid zerfressen und für das Unglück der anderen zuständig.
Es bleibt dabei: Wir lassen uns nicht mit einer Currywurst abspeisen, wir wollen das ganze Menü.
Wir lassen es nicht zu, wenn hier Kolleginnen in den Lehrerzimmern gegeneinander
ausgespielt werden, wir sollten es auch nicht zulassen, wenn nun Beamte unterschiedlicher Berufs- und Besoldungsgruppen bei dem Entwurf für eine verfassungsfeste Besoldung gegeneinander ausgespielt werden.
Der dbb ist ein gutes Haus für diesen Kampf, nicht nur in der Tarifauseinandersetzung, er ist auch ein gutes Schild für unsere Mitglieder, in Zeiten, in denen Lehrkräfte beleidigt und bedroht werden oder wegen Körperverletzung anzeigt, weil Sie in Kauf nehmen, dass bei der
Durchführung des Coronatests kleine Fadenwürmer von den Teststäbchen in das Gehirn wandern.
Wir sind uns aber auch einig, wenn wir uns nicht nur deshalb auf Schulen im Normalbetrieb freuen, wenn Bildungspolitik nicht mehr über die Wirksamkeit von Lüftungsgeräten, sondern über Gelingensbedingungen guter Bildung streitet, auch innerhalb der Verbände des dbb.
Dazu hätte ich bei anhaltend hohen Zahlen von Schulabgängern ohne Abschluss trotz zentraler Prüfungen für den Ersten allgemeinen Bildungsabschluss auf „Malen nach Zahlen Niveau“ einiges zu sagen. Aber nicht heute.
Ich danke Euch und Ihnen für die Aufmerksamkeit