Am zweiten Mai-Wochenende wurde unsere Bildungsministerin Frau Prien in den Kieler Nachrichten zitiert. Nach mehreren Wochen Fern- und Präsenzunterricht verlangt sie: „Lehrer müssen sich künftig noch schneller auf eine gute Kombination von Präsenz- und Distanzunterricht vorbereiten.“ Diese Äußerung löst nicht nur unverständliches Kopfschütteln aus, sondern auch grenzenlose Empörung. Es bleibt rätselhaft, welche Erkenntnisse dieser apodiktischen Aufforderung zu Grunde liegen.

Längst hat sich gezeigt, dass die Kollegen am Limit sind. Gestandene Lehrer arbeiten am Rande der Erschöpfung. Präsenzunterricht, Fernunterricht mit Aufgaben, deren Bewertungen und individuelle Rückmeldungen, Video- und Telefonkonferenzen, Telefongespräche, E-Mail-Austausch, Notbetreuung, Aufsichten und Abiturkorrektur sind nicht zu bewältigen. Ganz und gar vergessen wird die „erstaunliche“ Tatsache, dass Lehrer nicht nur für die Kinder anderer zu sorgen haben, sondern auch eigene Kinder erziehen. In beiderlei Hinsicht sind Lehrer ebenfalls persönlich Leidtragende der Krise – nur mit wenig Anerkennung oder Erleichterung. Zwar sind in Schleswig-Holstein auch Lehrer in die neu geschaffene Kategorie der „systemrelevanten Berufe“ eingestuft worden. Jedoch hapert es an der Umsetzbarkeit. Denn „auch eine Tätigkeit im Homeoffice ist als berufliche Tätigkeit, die die Betreuung eigener Kinder in dem betroffenen Zeitraum einschließt, einzuordnen.“ Aber: Fernunterricht findet notgedrungen auch zu Zeiten statt, in denen keine Kindertagesstätte und keine Schule mehr geöffnet hat. Eltern möchten den Lehrer auch nach 17:00 Uhr erreichen können. Eine Feedback-Sprechstunde für 25 Oberstufenschüler dehnt sich allzu oft in die Abendstunden aus oder Wochenendtage müssen in Anspruch genommen werden.

Gerade in diesen Zeiten wird es überdeutlich: Die gesellschaftliche Schlüsselrolle von Schule geht weit über den engeren Bildungsauftrag hinaus. Das verlässliche Stattfinden von Schule ist ein wesentlicher Garant unserer Erwerbsgesellschaft. Sowohl Verantwortliche aus der Wirtschaft als auch Eltern werden dieser immens wichtigen Aufgabe vorbehaltlos zustimmen. Die Lehrertätigkeit gilt zwar als systemrelevanter Beruf, spezifische Merkmale des Lehrerberufes führen aber dazu, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Wiederum wird deutlich: Lehrer brauchen mehr individuelle Unterstützung! Sie haben selbstverständlich einen gleichrangigen Anspruch auf die Betreuung ihrer Kinder, damit sie auch in diesen Ausnahmezeiten ihre beruflichen Aufgaben erfüllen können.

Die Arbeitsbelastung von Kolleginnen und Kollegen hat ein Maß erreicht, das nicht mehr hinnehmbar ist! Es reicht eben nicht aus, die Schulleiter an ihre Fürsorgepflicht zu erinnern. Es ist an der Zeit, dass unsere Ministerin der Öffentlichkeit unmissverständlich mitteilt, dass es eine Rangliste der Aufgaben geben muss, dass eben nicht alles gleichzeitig erledigt werden kann und dass im Zweifelsfall auch mal Dinge wegfallen müssen. Wir Philologen erinnern uns noch sehr gut an den Kleinen Vertretertag im Herbst vergangenen Jahres. Dort gab uns ein leitender Beamter aus dem Bildungsministerium seine persönliche Erfahrung freundlich und fürsorglich mit auf den Weg: Wenn einfach nicht alles zu schaffen sei, solle man sich getrost auf eine Sache konzentrieren und diese dann ganz langsam erledigen.

Hinzu kommen die Auswirkungen einer seit vielen Jahren notorischen Vernachlässigung seitens unseres Dienstherrn. Gemeint ist nicht zuletzt auch die fehlende Ausstattung der Lehrer mit digitalen Dienstgeräten. Es kann und darf doch nicht sein, dass Kollegen mit ihren privaten Rechnern Amtsgeschäfte erledigen müssen! Leider ist es keine fiktive Anekdote, dass der Verantwortliche eines Schulträgers in Schleswig-Holstein zum Auftakt der Homeoffice-Phase in den örtlichen Schulen erschien und kurzerhand sämtliche Tablets, die im Schulunterricht genutzt wurden, einkassierte, um seine eigenen Bediensteten im Homeoffice damit auszustatten.

Ausdrücklich erinnert sei in diesem Zusammenhang auch noch einmal an das Urteil des Verwaltungsgerichtes Schleswig aus dem Jahre 2016. Der Philologenverband hatte die Klage von drei Kollegen gegen die verlängerte Lehrerarbeitszeit unterstützt. Dem Ministerium wurde damals der gerichtliche Auftrag erteilt, die Arbeitszeitbelastung der Lehrer im Unterricht unter Einbeziehung der Vorbereitungszeiten und anderer schulischer Verpflichtungen zu ermitteln. Des Weiteren wurde von den Richtern festgestellt, dass weitere Belastungen nicht mehr statthaft seien.

Inzwischen ist jeder achte Kollege offiziell vom Präsenzunterricht befreit, weil er zu einer Risikogruppe gehört. Wenn also rund zwölf Prozent der Kollegien lediglich bedingt eingesetzt werden können, verteilt sich die erhebliche Mehrarbeit auf die übrigen Lehrer.

In den vergangenen Tagen wurden zahlreiche falsche Entscheidungen getroffen: Kurzfristig bewegliche Ferientage zurückzunehmen, ist ein demoralisierendes Signal für die Kollegen. Lediglich Schüler mit Tablets auszurüsten, reicht nicht. Eine Bildungsministerin, die sich auf die Seite der Kritiker des Schulbetriebes schlägt, anstatt sich als Dienstherrin fürsorglich vor und hinter ihre Lehrerschaft zu stellen, haben die Kollegen wahrlich nicht verdient.
Kurzum: Vieles muss sich ändern – inhaltlich wie kommunikativ!

Das Schuljahresende steht vor der Tür, das nächste Schuljahr ist zu planen. Es zeichnet sich ab, dass auch ab Mitte August noch längst kein normaler Schulbetrieb laufen wird. Der Philologenverband fordert daher:

  • Verbindliche Aussagen zum Unterricht nach den Sommerferien spätestens bis Anfang Juni.
  • Zielgruppengenaue Hinweise ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt für Lehrer, Schüler und Eltern.
  • Erarbeitung eines „Leitfadens zum Fernunterricht“ mit verbindlichen Regeln für alle Schulen u.a. mit folgenden Kapiteln:
    – Organisationsformen des kombinierten Fern- und Präsenzunterrichts
    – Ausstattung der Lehrer mit digitalen Endgeräten
    – Schaffung von entsprechend ausgestatteten Lehrerarbeitsplätzen in Schulen in ausreichender Zahl
    – Bereitstellung einer landesweiten Plattform für Video-/Audiokonferenzen für alle Schulen
    – Erarbeitung und Angebot eines Regelwerkes – „Netiquette“ (für Lehrerkonferenzen, für Lehrer-Schüler-Konferenzen, …), das die Schulen bei Bedarf in ihr Medienkonzept einarbeiten
    – Vereinbarungserklärung zum Fernunterricht: Unterbindung von Aufzeichnungen, Weitergabe …. Eltern und Bildungsministerin/ Datenschutzbeauftragter schließen durch ihre Unterschrift einen Vertrag
    – Erarbeitung einheitlicher, formaler Vorlagen (z.B. Elternbriefe, Datenschutzerklärung, …)
    – usw., usf.

Als unerlässliche Voraussetzung für jeglichen Fernunterricht fordert der Philologenverband:

  • Leihgeräte für alle Schüler,
  • Dienstrechner für alle Lehrer,
  • Vorkehrungen zum Datenschutz,
  • Schulungen nach Bedarf,
  • Ausstattung der Klassenräume für den parallelen Fern- und Präsenzunterricht.

Des Weiteren fordert der Philologenverband:

  • Erhebung der tatsächlichen Arbeitszeit unter den obwaltenden Pandemiebedingungen;
  • keine Mehrarbeit durch gleichzeitigen Präsenz- und Fernunterricht;
  • unverzügliche Anerkennung des Lehrerberufes als systemrelevante Tätigkeit sowohl im Präsenz- als auch im Fernunterricht;
  • umfassender Gesundheitsschutz für Lehrer – insbesondere
    – Angebot, sich regelmäßig auf eine Corona-Infektion testen zu lassen;
    – Vorhalten von Mund-Nasen-Masken.

Die vergangenen Wochen haben sämtliche Beteiligte (Schüler, Lehrer, Eltern) vor große organisatorische und emotionale Herausforderungen gestellt – und ein Ende ist noch längst nicht abzusehen. Es zeigt sich nur einmal mehr, dass Schule und guter Präsenzunterricht nicht ersetzbar sind. Das wissen wir alle nicht erst seit der „Hattie-Studie“. Der direkte, persönliche Austausch zwischen Lehrer und seinen Schülern, der zwischendurch im Unterricht stattfindet, ist ausschlaggebend für das Gelingen von Lehr- und Lernprozessen. Der digitale Fernunterricht muss eine absolute Ausnahme bleiben! Er ist lediglich das „kleinere Übel“ im Vergleich zum Unterrichtsausfall.

Der Philologenverband Schleswig-Holstein ist weiterhin zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium bereit. Seine Mitglieder berichten den Vorstandsmitgliedern regelmäßig von der vielgestaltigen, oft unübersichtlichen Situation vor Ort. Sie arbeiten täglich in den Schulen und von Zuhause mit Schülern, Kollegen und Eltern. Der Philologenverband ist dadurch Tag für Tag sehr viel näher am Geschehen als die Mitarbeiter im Ministerium. Umso mehr wünschen wir uns eine kontinuierliche Einbeziehung von Verbandsvertretern in Diskussionsprozesse und Entscheidungen.